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BRAUTPFAD

Von egalis Mittwoch 08.05.2024, 19:26

Es gibt einen schönen Frühlingsbrauch in Ostfriesland:
Am Himmelfahrtstag im Mai werden in vielen Orten von kleinen und größeren Kindern so genannte Brautpfade gelegt. Mit diesen Brautpfaden hat es eine besondere Bewandtnis.
Vor langer, langer Zeit gab es in Ostfriesland Fürsten und Häuptlinge und die hatten untereinander mächtig viel Zank und Streit. Jahrelang hauten sie sich gegenseitig die Hucke voll und trugen heftige Kämpfe aus. Dabei starben viele ihrer Soldaten und so mancher Häuptling oder Fürst stand auch nicht mehr vom Schlachtfeld auf.
Es gab dann aber auch wieder andere Zeiten, in denen sich die ostfriesischen Herrscher vertrugen. Aus einer friedlichen Zeit in Ostfriesland berichtet eine Sage und die geht so:

Im Auricher Schloss lebte die Fürstenfamilie Cirksena. Das Fürstenpaar hatte eine Tochter, die wunderschön war. Leider ist der Name des Fräuleins nicht überliefert. Weil die Fürstentochter so schön war und reiche Eltern hatte, gab es viele junge Männer, die sich in sie verliebten und sie zu gerne geheiratet hätten. Aber das Fräulein mochte keinen dieser Jungs leiden. Warum nicht? Gute Frage.

Es kann sein, dass ihr Vater etwas gegen einen Kandidaten hatte. Vielleicht war da ein Schweinehirte bei, der nach Mist stank oder ein Seemann, der zu gerne Rum trank und sowieso mehr auf seinem Schiff sein würde als zu Hause. Oder ein Bauern- oder Häuptlingssohn, der nicht reich genug war und auch nicht gut aussah oder sich benehmen konnte, wie die Fürsten es taten. Es gab sicher viele Gründe für die Fürstentochter, die zahlreichen Freier abzuweisen. Es ist auch möglich, dass sie auf den Einen wartete, in dessen Nähe sie Herzklopfen bekam und sich ein Leben ohne diesen Einen nicht vorstellen konnte.
Da kam eines Tages aus einem fremden Land ein Prinz zum Fürsten geritten um ihm „Guten Tag“ zu sagen und zu besprechen, ob die beiden Länder vielleicht Freunde werden und Handel betreiben könnten oder so.
Bei einem Festessen, das der Fürst zu Ehren des Gastes veranstaltete, sah dieser des Fürsten Tochter und verliebte sich auf Anhieb in die Schöne.
Der Prinz soll gut ausgesehen haben und reich gewesen sein. Auch das Mädchen verliebte sich in ihn und die beiden feierten Verlobung. Im nächsten Jahr, an Himmelfahrt, so wurde beschlossen, sollte es eine große Hochzeit geben.
Das Jahr ging schnell vorüber mit all den Vorbereitungen für das neue Leben, das die Fürstentochter als Ehe- und Hausfrau führen würde. Schließlich musste ein Haushalt eingerichtet werden und da war vieles herzustellen und anzuschaffen. Und der Prinz musste in der elterlichen Burg eine Wohnung für die beiden einrichten. Dann war es endlich soweit.
Am Himmelfahrtstag lachte eine warme Sonne vom blauen Ostfriesenhimmel. Die Stadt Aurich war prachtvoll hergerichtet worden mit Fahnen und Girlanden. Alle Stadtbewohner waren in ihren Sonntagskleidern auf den Beinen und wollten das Schauspiel sehen. Die Kinder und jungen Leute hatten von den nahen Wiesen um Aurich herum Blumen gepflückt und diese auf den Weg gestreut, den der Prinz kommen und auf dem das Brautpaar zur Kirche schreiten würde.
Damit die Fürstentochter ihren Bräutigam als Erste sehen konnte, stieg sie auf den Schlossturm. Von dort wollte sie ihm mit einem weißen Tuch zuwinken. Das tat sie auch. Der Prinz sah das in der Ferne und gab in seiner Freude dem Pferd die Sporen und im Galopp jagte er auf das Schloss zu.
In der Menge der Leute verbarg sich aber einer, der wohl mächtig eifersüchtig war, weil die Fürstentochter ihn nicht haben wollte. Und nach seiner Meinung sollte dieser fremde Prinz sie auch nicht heiraten. Als der Prinz fast angekommen war, sauste etwas Schweres durch die Luft - vielleicht ein Stein? - und traf ihn. Er brach im Sattel zusammen, stürzte vom Pferd, blieb aber mit einem Fuß im Steigbügel hängen. Das Pferd galoppierte in den Schlosshof und schleifte den toten Prinzen hinter sich her.
Als die schöne Fürstentochter das sah, brach ihr das Herz und sie war auf der Stelle tot. Da war ein großes Jammern im Schloss und in der Stadt. Denn die Auricher Bürger liebten das Fürstenfräulein.
Das tote Brautpaar wurde ein paar Tage später über den Weg, der eigentlich ein Brautpfad hatte sein sollen und dessen Blumenschmuck inzwischen verwelkt war, zum Friedhof gebracht.
Statt froher Hochzeitsleute liefen nun trauernde Menschen über die Blumen. Die Brautleute wurden nebeneinander beerdigt.

Das alles ist schon so lange her, dass man nicht mehr weiß, ob es wirklich so war. Aber an allen alten Geschichten, die von einem zum anderen erzählt werden, ist immer etwas Wahres dran.
Bis heute, viele hundert Jahre später, wird am Himmelfahrtstag an die Geschichte der schönen Fürstentochter mit ihrem Prinzen gedacht und es werden immer noch Brautpfade an Wegen entlang und vor Häuser gelegt.
Dazu wird Moos gesammelt und Blumen und bunte Halme, die um diese Zeit auf den Wiesen und an den Wegrändern zu finden sind. Da sieht man dann die Abbildungen von Glaube, Liebe, Hoffnung: Für Glaube werden Blumen zu einem Kreuz gelegt, für Liebe entsteht ein Herz und für Hoffnung ein Anker. Auch Schiffe, Mühlen und andere Bilder kann man finden.

Es ist ein schöner Frühlingsbrauch in Ostfriesland. Bislang wurde nie vergessen, dass er in Erinnerung an das traurige Geschehen vor Hunderten von Jahren ausgeübt wird. Und solange da immer wieder Menschen sind, die diese Geschichte weitererzählen, wird auch beides nicht in Vergessenheit geraten.

©elkebontjerdobertin

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